Die Kretschmarsbuche

Zusammengestellt von Karlheinz Lichau

Nur noch wenige ältere Einwohner unserer Dörfer werden sich an sie erinnern können, die Buche, die man in Verballhornung ihres eigentlichen Namens auch Kretschmannsbuche nannte. Sie war ein mächtiger Baum mit breit ausladender Krone. Noch vor wenigen Jahren stand sie etwa 2 km von Ober-Ohmen entfernt im Wald am Rande des Weges nach Höckersdorf, bis auch sie den Durchforstungsmaßnahmen zum Opfer fiel, die nach einem heftigen Sturm wegen zahlreicher umgestürzter Bäume notwendig geworden waren.

Doch was hat es mit diesem Baum mit dem eigenartigen Namen auf sich? Bäume mit Namen erinnern sehr oft an eine besondere Begebenheit, und so auch hier. Hier geschah ein besonders heimtückischer Mord!

Pfarrer Jung schrieb hierüber ins Kirchenbuch:

„Kretschmar, Heinrich, Ortsbürger und Blechflicker, von seinen Söhnen erschlagen, wohnhaft zu Bobenhausen, Kreis Schotten, geboren den 2ten April 1842, starb den 12ten Dezember 1889 Nachmittags gegen 9 Uhr zu Ober-Ohmen und wurde daselbst kirchlich zu Grabe gebracht durch den evangelischen Pfarrer am siebenzehnten Dezember achtzehnhundert neun und achtzig Nachmittags zwei Uhr.“

Evangelisches Pfarramt Ober-Ohmen

Christian Jung, Pfarrverwalter.

Blechflicker oder auch Kesselflicker waren Leute, die in den Dörfern von Haus zu Haus zogen, um nachzufragen, ob es einen auslaufenden Wasserkessel, einen Blechtopf oder auch eine blecherne Wärmflasche zu reparieren gebe. Hierdurch konnten sie sich ein paar Pfennige hinzuverdienen.

Der Ober-Ohmener Heimatforscher Otto Jäger berichtet uns in den „Heimatblättern für den Kreis Alsfeld“ im April 1927 Näheres über den Mord. Die beiden Stiefgebrüder Kretschmar hatten in Ober-Ohmen ausgiebig gezecht und erschlugen danach im Streit ihren Vater. Um ihre Untat zu vertuschen, banden sie ihm einen Wollschal um den Hals und hängten ihn an jener Buche auf, um einen Selbstmord vorzutäuschen.

Der relativ lange Zeitraum zwischen dem Todes- und dem Begräbnistag von fünf Tagen deutet darauf hin, dass der Leichnam mit den kriminalistischen Methoden jener Zeit untersucht wurde. So wurde der versuchte Betrug entlarvt.

Der ältere der beiden Unholde wurde zum Tode, der jüngere zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Es lässt sich leicht vorstellen, wie es die Fußgänger gruselte und sie einen Bogen machten, wenn sie auf ihrem Wege nach Höckersdorf an der Kretschmarsbuche vorübergehen mussten. Denn wie Herr Hans Heinrich Zimmermann in seinem kürzlich veröffentlichten Heimatbuch „Bobenhausen“ schildert, soll sie, wenn der Wind über ihr Blattwerk strich, leise gewispert und geflüstert haben: „Hüte Dich, sonst häng ich Dich, hüte Dich, sonst häng ich Dich!“.