Die Pfarrei Ober-Ohmen um etwa 1900

Zusammengestellt im Jahr 2015 von Karlheinz Lichau

In der kleinen Bibliothek unseres Pfarrarchives steht auch ein Exemplar des Buches „Beschreibung der evangelischen Pfarreien des Großherzogtums Hessen“, das Otto Röschen, Pfarrer in Freienseen, im Jahre 1900 im Selbstverlag herausgab. Die Vorarbeiten zu diesem Buch hatte er kurz vor der Jahrhundertwende, also vor etwa 115 Jahren geleistet. Wie schon der Titel des Buches nahelegt, beschreibt er in dem großformatigen Buch in einer jeweils etwa halbseitigen Darstellung nach einem festgelegten Schema alle Pfarreien des damaligen Großherzogtums Hessens, darunter auch die Pfarrei Ober-Ohmen. Da man damals, als es in unseren Dörfern noch keine Autos gab, Wegstrecken überwiegend zu Fuß zurücklegte, sind auch die Entfernungsangaben nicht wie heute üblich in Kilometern, sondern praktischerweise in Minuten und Stunden angegeben, also in der Zeit, die man beim üblichen Gehen zum Zurücklegen einer Strecke benötigte.

Die Anstellung des Pfarrers erfolgt durch das Kirchenregiment, wir würden heute sagen durch die Kirchenleitung. Ober-Ohmen selbst hat damals 743 Einwohner, alle sind evangelisch. Die Filialgemeinde Ruppertenrod weist 734 evangelische und 3 katholische Einwohner auf. Um dorthin zu gelangen, hat man von Ober-Ohmen 20 Minuten zu gehen. Unter-Seibertenrod zählt 341 evangelische Bewohner, für den Weg dorthin braucht man eine 3/4 Stunde. Damals gehörte zu unserer Pfarrei auch die ehemals riedeselische Gemeinde Zeilbach, der es nach jahrzehntelangen Bemühungen 1902 gelang, die Mitgliedschaft zur Pfarrei Ober-Ohmen aufzuheben und sich der günstiger gelegenen Pfarrei Ermenrod anzuschließen. Zeilbach hat damals 212 evangelische Einwohner. Die Wegstrecke beträgt eine Stunde. Insgesamt hat der Ober-Ohmener Pfarrer also 2030 evangelische Christen zu betreuen.

In Ober-Ohmen hält der Pfarrer sonntags 2 Gottesdienste, einen um 10.00 Uhr und einen um 13.00 Uhr. Von Trinitatis bis zum 14. Sonntag nach Trinitatis hält er um 13.00 Uhr Katechismuslehre. Es geht aus dem Bericht Pfarrer Röschens nicht eindeutig hervor, ob in diesem Zeitraum der Gottesdienst um 13.00 Uhr ausfällt oder ob die Katechismuslehre im Anschluss an den zweiten Gottesdienst stattfindet. Über Gottesdienste in den Filialgemeinden finden wir keine Aussage. Darüberhinaus hält der Pfarrer zu Ober-Ohmen eine Christmette und einen Gottesdienst zu Silvester. Sieben Abendmahlsgottesdienste jährlich feiert die Gemeinde in Ober-Ohmen, vier die in Ruppertenrod, je zwei die Gemeinden Unter-Seibertenrod und Zeilbach. Die Beichte findet in den beiden größten Gemeinden agendarisch am Tage vorher, in den beiden kleineren Gemeinden direkt vor dem Abendmahl statt. Die Haustaufe ist agendarisch. Bei Trauungen und Beerdigungen hält der Pfarrer eine Rede. Der Konfirmandenunterricht findet im Pfarrhaus statt, dabei benutzen die Konfirmanden den lutherischen Katechismus. Kirchenbücher sind seit 1595 vorhanden.

Die geräumige Kirche von Ober-Ohmen liegt mitten im Dorf. Sie wurde ab 1792 an den alten Turm angebaut und bietet 700 – 800 Personen einen Sitzplatz. Die Kirche in Ruppertenrod hat 230 Sitzplätze, die in Unter-Seibertenrod 190 und die in Zeilbach 100 Sitzplätze. Unter-Seibertenrod hat noch keine Orgel.

Anschließend gibt Pfarrer Röschen eine Beschreibung des Pfarrhauses. Darauf näher einzugehen, erübrigt sich, da es heute noch wie damals aussieht. Einer der heutigen beiden Amtsräume wird noch als Privatraum, der andere als Raum für den Konfirmandenunterricht benutzt. Sieht man sich die Fotografien aus dieser Zeit mit der großen Zahl von Konfirmanden an, kann man sich leicht vorstellen, welches Gedränge in diesem Raum geherrscht haben muss. Die Küche des Pfarrhauses hat eine eigene Pumpe, die gute Qualität des Trinkwassers wird besonders herausgestellt. An der Stelle der damaligen großen Scheune steht heute unser Gemeindehaus. Den großen abgeschlossenen Hof begrenzen weiterhin ein Pferde- Kuh- und Schafstall, sowie eine Waschküche und eine Wagenremise, in der der Pfarrer seine Kutsche abstellt. Zum stark zugigen Friedhof hat der Pfarrer eine Wegstrecke von 5 Minuten zurückzulegen.

Für die damalige Selbstversorgung mit Obst und Gemüse sind die beiden Pfarrgärten wichtig. Einer von 3 Ar Größe liegt recht bequem für die Pfarrersfrau hinter der Küche, der andere, 17 Ar groß, erstreckt sich auf dem Gelände des heutigen Kindergartens. 40 junge Obstbäume versorgen die Pfarrersfamilie mit Obst. Fleisch- und Wurstwaren und, wie man damals sagte, Kolonialwaren, kann man direkt im Ort kaufen. Ein Bäcker wird nicht erwähnt. Wie alle Familien backt wohl auch die Pfarrersfamilie ihr Brot selbst in dem naheliegenden Backhaus. Hierauf weist auch der untenstehende Ankauf von Reiserholz hin. Für hier nicht erhältliche Waren gibt es einen Botendienst nach Grünberg.

Die Pfarräcker und -wiesen bearbeitet der Pfarrer nicht mehr selbst. Sie sind für 846 Mark bzw. 600 Mark verpachtet, ein stolzer Betrag, wenn man die hohe Kaufkraft der damaligen Goldmark in Betracht zieht, auch im Vergleich zu anderen Pfarreien der Umgebung, die wesentlich weniger Land besitzen. Jährlich bezieht der Pfarrer 10 Meter Scheitholz und 10 Meter Reiser für 30,61 Mark, hinzu kommt noch der Holzhauerlohn.

Durch Ober-Ohmen führt die Postkutschenstrecke Mücke-Ulrichstein. In Mücke findet man genau wie heute den nächsten Bahnanschluss. Ärzte und Apotheker kann der Pfarrer in Ulrichstein oder in Groß-Felda aufsuchen, Ruppertenrod hatte noch keinen Arzt.

Die meisten Einwohner der Pfarrei arbeiten in der Landwirtschaft, viele Männer verdienen jedoch bereits auswärts, besonders im Ruhrgebiet, den Lebensunterhalt für ihre Familien.

Diese Beschreibung der Pfarreien des Großherzogtums Hessen und damit auch der Pfarrei Ober-Ohmen stellte Pfarrer Röschen aus praktischen Erwägungen in erster Linie für seine Amtskollegen zusammen. Die Pfarrer konnten sich schon vor Antritt einer neuen Stelle darüber informieren, welche beruflichen Anforderungen und welche privaten Lebensumstände sie dort in ihrem zukünftigen Wirkungskreis erwarteten. Die Beschreibung der Filialgemeinden tritt deshalb leider etwas in den Hintergrund.